Requiem pour L.

ALAIN PLATEL & FABRIZIO CASSOL | Belgien | Musiktheater

 

Zwölf Jahre nach dem Erfolg der Compagnie ‹les ballets C de la B› mit «vsprs» kommen Alain Platel und Fabrizio Cassol erstmals wieder nach Basel zurück – mit einer einzigartigen Musikperformance und Neuinterpretation von Mozarts Requiem.

Das Requiem ging als Vermächtnis in die Musikgeschichte ein, dies obwohl es zum Zeitpunkt von Mozarts Tod noch ein Fragment war. Der Komponist Cassol hat gemeinsam mit Musiker_innen aus dem Kongo, Südafrika, Brasilien und Europa die originalen Partien von Mozart freigelegt und ermöglicht uns einen neuen Umgang mit seinem Erbe. Das Ergebnis ist eine atemberaubende neuzeitliche Totenmesse, die in einen interkontinentalen Dialog mit dem europäischen Werk tritt. Originale Melodien wurden neu instrumentiert und mit gänzlich anderer Musik arrangiert, sodass das Original zwischenzeitlich in den Hintergrund tritt, um im Widerhall doch nie ganz zu verschwinden. Wie eine Beobachterin ihres eigenen Abschiedsrituals blickt L. – für sie steht das ‹L› im Titel des Werks – von einer Leinwand auf die Bühne. Wir begleiten sie in ihren letzten Momenten vor dem Tod und sehen in Zeitlupe einen Zyklus aus Schlaf- und Wachzuständen. «Requiem pour L.» ist kein einfaches Theater und es ist sicher auch nicht einfach ‹nur› Theater. Platel und Cassol haben ein zeitgenössisches Bühnenwerk für den Tod geschaffen, kein Tanztheater, aber ein sehr vitales und körperliches Musizieren auf dem sprichwörtlichen Gräberfeld. Ihr Requiem ist eine Übung in der ‹Ars moriendi›, der Kunst des Sterbens, ohne die es keine Kunst des Lebens gibt.

 

 

«DASS DER TOD SO LEBENSPRALL KLINGEN KANN? WER HÄTTE DAS GEDACHT. DIE KLASSISCHE MUSIK WIRD FAST GESPRENGT, DURCHDRUNGEN VOM SOUND AFRIKAS. UND MAN HEBT AB. GROSSARTIG.» PETER HELLING, NDR

 

 


 

 90 SEKUNDEN MIT FABRIZIO CASSOL

 

Für das gemeinsam mit Alain Platel entstandene Stück «Requiem pour L.» hast Du Mozarts nie vollendetem Requiem mit Musiker_innen aus Südafrika und dem Kongo ein neues Ende verpasst. Wie hat man sich das auf der Ebene der Musik vorzustellen?

Im Grunde liegt hier alles offen da. Nach Mozarts Tod hatten Joseph Eybeler und Franz Xaver Süssmayr das unvollendete Requiem zu Ende gebracht. Ich habe das Manuskript zur Hand genommen, diese Ergänzungen wieder aus der Partitur entfernt und versucht, das Fragment stattdessen mit afrikanischen Musiker_innen zu vollenden. Warum nicht einfach heute lebenden Menschen vertrauen, das Requiem auf ihre Art zu einem Ende zu bringen? In Mozarts Musik gibt es eine Menge Details, die Harmonien zum Beispiel, über die man afrikanische Musik anschliessen kann. Es war aber schon irre zu sehen, wie gut sich klassische und barocke Musik aus Europa tatsächlich mit aussereuropäischen musikalischen Traditionen verschmelzen lassen.

 

Warum ein solch ‹klassisches› Stück europäischer Musik noch einmal neu bearbeiten?

Auch wenn diese Musik sehr universell ist, haben doch nur einige wenige Menschen – vor allem die im ‹Westen› – Zugang zu klassischen Konzerten. Dabei ist diese Musik so unglaublich universell. Aber in vielen Teilen der Welt hat man einfach keinen Zugang zu den benötigten Instrumenten; oder es ist unmöglich, alle Stimmen mit entsprechenden Sänger_innen zu besetzen. Ich stelle die Frage nach der Bearbeitung daher noch einmal anders: Wie kann man diese Musik mit dem jeweils Verfügbaren aufführen? So vieles begann mit Amateuren, selbst Mozart schuf Opern mit Leuten, die keine Berufsmusiker_innen waren. Ich denke, dass man diese Musik von innen nach aussen stülpen, dass man sie ändern muss, um sie dabei auf die denkbar einfachste Art und Weise aufführbar zu machen. Denn dann lässt sich in Sachen Emotionalität sehr viel mehr aus ihr herausholen.

 

Während der Proben zu «Requiem pour L.» begleitete das Ensemble eine Frau auf dem Sterbebett. Das klingt nach einer Grenzerfahrung.

Alain und ich sind beide davon überzeugt, dass es an der Zeit ist, sich über unsere europäischen Rituale des Sterbens und des Todes Gedanken zu machen. Ändern wir hier etwas, so können wir auch anders mit dem Leben umgehen. «Requiem pour L.» macht da einen Anfang. L. hatte sich bereit erklärt an diesem Projekt, einer Untersuchung der Kunst des Sterbens, teilzunehmen. Ihre Familie unterstützte sie dabei. In der Performance tauchen Bilder der sterbenden L. auf und verwandeln das Stück in eine Trauerzeremonie – eine Zeremonie, die zugleich eine bestärkende Feier des Lebens ist.

 

Interview: Dominikus Müller



 

Musik Fabrizio Cassol nach Mozarts Requiem | Regie Alain Platel | Musikalische Leitung Rodriguez Vangama | Mit Rodriguez Vangama (Gitarre, Bass); Boule Mpanya, Fredy Massamba, Russell Tshiebua (Gesang); Nobulumko Mngxekeza, Owen Metsileng, Stephen Diaz/Rodrigo Ferreira (lyrischer Gesang); Joao Barradas (Akkordeon); Kojack Kossakamvwe (elektrische Gitarre); Niels
Van Heertum (Euphonium); Bouton Kalanda, Erick Ngoya, Silva Makengo (Likembe); Michel Seba (Perkussion) | Dramaturgie Hildegard De Vuyst | Assistenz Musik Maribeth Diggle | Choreografische Assistenz Quan Bui Ngoc | Video Simon Van Rompay | Kamera Natan Rosseel | Szenografie Alain Platel | Szenografische Umsetzung Wim Van de Cappelle in Zusammenarbeit mit dem Bühnenbildatelier NT Gent | Lichtdesign Carlo Bourguignon | Sounddesign Carlo Thompson | Kostümdesign Dorine Demuynck | Bühnenmanager Wim Van de Cappelle | Fotografie Chris Van der Burght | Produktionsleitung Katrien Van Gysegem, Valerie Desmet | Direktionsassistenz, 
Tour Management Steve De Schepper | Praktikum Performing Arts Lisaboa Houbrechts | Praktikum Technik Ljf Boullet | Produktion les ballets C de la B (BE), Festival de Marseille (FR), Berliner Festspiele (DE) | Koprodution Opéra de Lille (FR), Théâtre National de Chaillot Paris (FR), Les Théâtres de la Ville de Luxembourg (LU), Onassis Cultural Centre Athens (GR), TorinoDanza (IT), Aperto Festival/Fondazione I Teatri – Reggio Emilia (IT), Kampnagel Hamburg (DE), Ludwigsburger Schlossfestspiele (DE), Festspielhaus St. Pölten (AT), L’Arsenal Metz (FR), Scène Nationale du Sud-Aquitain – Bayonne (FR), La Ville de Marseille-Opéra (FR) | Vertrieb Frans Brood Productions | Mit Dank an Isnelle da Silveira, Filip De Boeck, Barbara Raes, Griet Callewaert, atelier NTGent, Mevrouw S.P., Ju rouw A.C., Fondation Camargo (Cassis, France), Sylvain Cambreling | Wir sind L. und ihrer Familie aufrichtig dankbar für ihre aussergewöhnliche Offenheit, ihr tiefes Vertrauen und die einmalige Unterstützung dieses speziellen Projekts. | Im Dialog mit Dr. Marc Cosyns

 

Das Gastspiel wird unterstützt durch die L. + Th. La Roche-Stiftung.