Monument 0 - Haunted by wars (1913 - 2013)

ESZTER SALAMON | Frankreich & Deutschland | Tanz

 

Eszter Salamon führt uns zu Kriegen, die bisher keinen Platz in der europäischen Geschichtsschreibung fanden. Mit Tanz, Gesang und körperlicher Perkussion reflektiert Salamon die Tänze eines konfiktreichen Jahrhunderts. Wie Gespenster einer verdrängten Erinnerung erscheinen vergessene Körper, Masken und Silhouetten aus der Dunkelheit. So entsteht ein beeindruckend düsteres und zugleich surreales Szenario, das zu einem mächtigen Totentanz wird.

Die in Ungarn geborene Choreografin Eszter Salamon erforschte Kriegstänze aus Regionen, in denen ‹der Westen› Kriege führte – insgesamt setzte sie sich mit über 60 Tänzen aus allen fünf Kontinenten auseinander. Ob religiös oder rituell motiviert: der Tanz wird Praxis, um Menschen auf ein ausserordentliches Ereignis vorzubereiten – oder es danach zu verarbeiten. Salamon blickt auf die vergangenen 100 Jahre als globale Kriegsgeschichte und entwirft daraus eine grosse Choreografie für das 21. Jahrhundert.

 

 

«ES IST UNGEWÖHNLICH: ALLES LÄUFT AB, ALS WÜRDE SICH DIE CHOREOGRAFIN IHRES ERBES ENTLEDIGEN, UM IM GRUNDE IHRE GRENZENLOSE BEWEGUNGSFREIHEIT ZU BETONEN.» 
SELOUA LUSTE BOULBINA, MAGAZIN IM AUGUST

 

 


 

 90 SEKUNDEN MIT ESZTER SALAMON

 

In «MONUMENT 0 – Haunted by wars (1913 – 2013)» bringst Du eine beeindruckende Anzahl verschiedener Kriegstänze zusammen. Nach welchen Kriterien bist Du bei der Auswahl vorgegangen?

Ich wollte eher empirisch und weniger anthropologisch arbeiten. Es ging mir um Tänze aus Kon iktregionen, die einen Bezug zur Geschichte des Kolonialismus auf- weisen – Tänze, die von der Geschichte jener Fiktion namens ‹Modern Dance› verdrängt wurden; Traditio- nelles aus Regionen, in denen der Westen für Jahrhun- derte das Sagen hatte, selbst wenn er diese Rolle im- mer wieder gerne kleinredet und minimiert. Die Tänze stammen also aus Südostasien, dem Mittleren Osten, aus verschiedenen Regionen Afrikas sowie aus Zentral- und Südamerika. Und die künstlerische Geste bestand darin, diese zwei Geschichten zueinander in Bezie- hung zu setzen und das in den Fokus zu rücken, was ausgeschlossen oder unterdrückt worden war.

 

Kannst Du mir ein bisschen mehr über den Gegensatz zwischen dem, was Du gerade die «Fiktion namens ‹Modern Dance›» genannt hast, und Deinem Interesse an Volkstänzen erzählen?

Modern Dance hat einen stummen Körper geschaffen, so gut wie ohne Ausdruck im Gesicht. Er hat sich von komplexen Rhythmen nach und nach verabschiedet. Die nordamerikanischen Tanztechniken, die sich seitdem entwickelt haben, wurden, wie vor ihnen bereits das Ballett, in beinahe kolonialistischer Manier in den Rest der Welt exportiert. Diese Techniken, die aus experimentellen Ansätzen hervorgegangen sind, waren damals sehr wichtig. Sie haben zur Selbster- mächtigung beigetragen. Inzwischen aber wurden sie zum dominanten Bewegungsmodus. Ich aber habe ein Interesse an unterschiedlichen Ausdrucks- und Bewegungsweisen und stehe der Vorherrscha dieser ‹Smoothness› also eher kritisch gegenüber. Meiner Meinung nach kann sie einfach nicht überall und für jeden Geltung beanspruchen. Es gibt so viele Körper- konstruktionen und unendlich viele Arten, sich zu bewegen. Und jede von ihnen ermöglicht einen neuen Zugang zur Welt und ein Verhältnis zu ihr.

 

Wie verhält sich die Idee eines ‹Monuments› – wie es der Titel nahelegt – zum Tanz und zu körperlichen Bewegungen?

«MONUMENT 0» ist das erste Stück in einer Serie namens «Monuments». Für mich sind diese Stücke Anti-Denkmäler. Normalerweise errichtet man Denk- mäler aus hartem und widerstandsfähigem Material und fast immer sollen sie an eine offzielle Geschichte erinnern. Meine Denkmäler aber sind ephemer und performativ, sie müssen jedes Mal neu aktualisiert werden. Für mich sind sie eine Möglichkeit, den Bezug zwischen meinem eigenen künstlerischen Tun und der Geschichte herzustellen. Ich möchte mich aktiv mit dem Schreiben von Geschichte auseinandersetzen, auf der Basis archäologischer Nachforschungen, aber auch von Spekulation und Fiktion. Auf ihre eigene Art und Weise fördert jedes dieser Stücke etwas aus den Tiefen der Vergangenheit zutage – etwas, das gerade nicht wertgeschätzt, sondern unterdrückt und manchmal auch gar nicht realisiert wurde.


 

Künstlerische Leitung Eszter Salamon | Dramaturgische Mitarbeit Ana Vujanovic | Choreografie Boglárka Börcsök, Ligia Lewis,
João Martins, Yvon Nana-Kouala, Luis Rodriguez, Corey Scott-Gilbert | Tanz Mario Barrantes Espinoza, Boglárka Börcsök, João Martins,
Yvon Nana-Kouala, Sara Tan, Gervais Tomadiatunga| Kostümdesign Vava Dudu | Assistenz Kostümdesign Olivier Mulin | Lichtdesign Sylvie Garot | Sounddesign Wilfrid Haberey | Szenografie Sylvie Garot, Thalie Lurault, Eszter Salamon | Wissenschaftlicher Berater/Historiker Djordje Tomic | Technische Leitung Thalie Lurault, Michael Götz | Produktion Alexandra Wellensiek (Botscha Gbr), Sandra Orain / Elodie Perrin (Studio E.S.) | Koproduktion HAU Hebbel am Ufer (DE), Internationales Sommerfestival Kampnagel (DE), Les Spectacles Vivants / Centre Pompidou (FR), PACT Zollverein (DE) als Teil von Départs (Europäische Kommission, Kulturelles Programm), Tanzquartier Wien (AU), Centre Chorégraphique National de Montpellier Languedoc-Roussillon (FR) als Teil des Residenzprogramms | Mit Dank an Bureau Cassiopée, Yvane Chapuis, EDEN*****, Zohar Frank, Danielle Kaufmann, Moritz von Rappard, Alexandre Roccoli, Frédéric Seguette & dem Team CCN Montpellier-Languedoc-Roussillon als teil des Residenzprogramms | Gefördert durch Centre Chorégraphique National Ballet de Lorraine (FR), Accueil Studio 2013/2014, The Regional directory of cultural affairs of Paris (FR), Ministerium für Kultur und Kommunikation Frankreich (FR)

 
Unterstützt durch das NATIONALE PERFORMANCE NETZ Koproduktionsförderung Tanz, gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.